Anteilnahme macht den Unterschied

Die Erfahrung der Anteilnahme wird für dieses Kind entscheidend sein.
Sie wird für seinen Lebensweg entscheidend sein.
Sie war und ist für uns alle entscheidend.
Anteilnahme brauchst Du, um mit Deinem Start in ein körperliches Leben und den damit einhergehenden vielfachen Erfahrungen und Empfindungen zurecht zu kommen, damit umgehen zu lernen.

Anteilnahme steht am Anfang unseres Lebens.
Sie ermöglicht unseren Eltern auf uns einzugehen. Sie ermöglicht es den Eltern aller Lebewesen ihre Kinder zu behüten.
Anteilnahme nimmt
Inneres wahr.
Anteilnahme braucht keine Worte und kein Denken.
Anteilnahme bestätigt Dich als ein fühlendes Wesen. Durch sie findet Dein Fühlen Anerkennung.
Anteilnahme beurteilt nicht, was Du fühlst. Sie begleitet Dich in Deinem Fühlen und nimmt Dich darin wahr. Durch die Anteilnahme eines Menschen lernst Du, mit Deinem Fühlen umzugehen, mit Deinen inneren Reaktionen auf eine äußere Welt. Sie gibt Dir den Raum dafür. Der Anteil-Nehmende hält den Raum für Dich, in dem Dein Fühlen sein darf, ganz unabhängig davon, ob es sich um angenehme oder unangenehme Empfindungen handelt.
Wer an Deinen Erfahrungen Anteil nimmt begleitet Dich.

Durch Anteilnahme wird geteiltes Leid zu halbem Leid und geteilte Freude zu doppelter Freude.

Anteilnahme mischt sich weder ein noch versucht sie den Anlass Deines Gefühles aus dem Weg zu räumen oder zu forcieren. Sie steht Dir im Umgang mit Deinem Gefühl bei, lässt Dich damit nicht allein. Durch Anteilnahme entwickeln Deine Gefühle keine Bedrohlichkeit oder verlieren sie wieder, wenn Du sie schon als bedrohlich wahrnimmst. Wenn die Intensität Deines Fühlens Deine körperliche Existenz in Frage zu stellen droht, hilft Dir die Anteilnahme eines Anderen ein Ganzes zu bleiben.

Anteilnahme ist natürlich und in der tierischen Welt gänzlichen normal.
Sie ermöglicht das Miteinander. Wahrscheinlich sind deshalb Haustiere wie Hunde und Katzen für so viele Menschen wichtig. Sie nehmen ganz natürlich Anteil und bringen seelische Entlastung.

Warum sind Menschen oft nicht zur Anteilnahme fähig?
Ja, die Abwesenheit oder die Notwendigkeit von Anteilnahme wird häufig noch nicht einmal erkannt oder nur noch in Katastrophenfällen,
in Zeiten kollektiver Betroffenheit bemerkt. Dann einen sich Menschen in stiller Anteilnahme.
In unserem gesellschaftlichen Alltag kommt Anteilnahme eher selten zum Tragen.

Was
Menschen an der natürlichen Anteilnahme hindert, sind im Inneren gespeicherte Erfahrungen, die ihren Rahmen des Ertragens sprengten und deshalb abgespalten wurden.

Wer zu viel unbearbeiteten Schmerz in sich trägt, ist in seinen Möglichkeiten zur Anteilnahme stark begrenzt, sowohl im „Guten“ wie im „Schlechten“. Jemand, der sich selbst seiner Trauer verweigert, ist nicht dazu in der Lage an der Trauer eines Anderen Anteil zu nehmen. Er wird anstatt dessen immer versuchen, eine Lösung zu finden oder eine Aufmunterung, um die Trauer weg zu bekommen, sie nicht fühlen zu müssen.
Jemand, der sich der Wahrnehmung seines Schmerzes verweigert, kann nicht am Schmerz eines Anderen Anteil nehmen. Allerdings kann er es dann auch nicht an seiner Freude.
Je mehr wir selbst mit unerlösten Gefühlen angefüllt sind, um so weniger können wir das Geschehen im Inneren eines Anderen wahrnehmen, selbst wenn diese Anderen unsere eigenen Kinder sind und unsere Anteilnahme für ihre ersten Schritte im Umgang mit dem körperlichen Leben brauchen.
Zur Anteilnahme müssen eigene Gefühle zugelassen werden können und es bedarf einer gewissen inneren Stärke, eines Aushalten-Könnens. Beides fanden Menschen früher durch ihren Glauben, durch ihr Bewahrt-Sein im Göttlichen.
Aber während sich auf der einen Seite die Bedeutung des Glaubens in unserem Alltag vielfach verflüchtigt hat, haben wir auf der anderen Seite Vernichtungsmittel entwickelt, deren Auswirkung den Rahmen jeder möglichen Anteilnahme gesprengt haben. Angesichts unserer Vernichtungsmacht zweifeln wir am Göttlichen und haben uns selbst durch Wissenschaft und Technik darüber erhoben. Unsere Kriege haben die Anzahl derer, die auf Grund des in ihnen gespeicherten Schmerzes nicht mehr zur Anteilnahme fähig sind und diese auch nicht weiterreichen können, extrem erhöht. Wir haben uns weit von einem natürlichen Umfeld, in dem Anteilnahme selbstverständlich ist, entfernt.
Es mangelt unserer Welt und unseren gesellschaftlichen Systemen an Anteilnahme. Mir selbst ist meine dauerhafte Anteilnahme, die mir meine Erkenntnisfähigkeit beschert, nur durch meinen tiefen Zugang zum Göttlichen möglich.

Manche Menschen fürchten Anteilnahme.
Sie fürchten sich davor, eine Last zu sein. Sie können sich nicht auf Anteilnahme einlassen oder lehnen sie gar ab, weil ihr zu begegnen die Gefahr eines Zusammenbruches von sie ersatzweise aufrecht haltenden Strukturen beinhaltet. Sie raubt die dann vorhandene und gepflegte Illusion der eigenen Stärke. Sie öffnet die Schleusen für tief vergrabenen Schmerz und für die Erfahrung der Hilfslosigkeit. Besonders für das männliche Geschlecht stellt das eine große Hürde dar.

Und doch ist Anteilnahme das, was uns heilen und zum Erstarken führen kann.

Die höchste Wirksamkeit bei Alkoholismus, gekennzeichnet durch die geringere Rückfallrate, haben nicht etwa Therapien sondern die Treffen der anonymen Alkoholiker. Das liegt an der dort gegebenen Möglichkeit, zur gegenseitigen Anteilnahme, am gewährten Raum zum Selbstausdruck, ohne sich vor Erwartungen oder Urteilen fürchten zu müssen. Anteilnahme urteilt nicht.
Zu erkunden wäre, inwieweit die dem Kind am Lebensanfang fehlende Anteilnahme erst die Voraussetzung für das Entstehen eines Suchtverhaltens und auch von Depressionen bildet oder auch beides schlicht und ergreifend ein hilfloser Ruf nach Anteilnahme ist.
In jedem Fall liegt in der Erfahrung der Anteilnahme eines anderen Menschen der Zugang zur Heilung. Therapeuten sollten nach ihrer Fähigkeit zur Anteilnahme gewählt werden, denn es ist nicht die Technik, die zur Heilung führt sondern die Art ihrer Anwendung. Ohne die Fähigkeit zur Anteilnahme wird das Gegenüber zu einem zu behandelnden Objekt.

Klar muss hier allerdings zwischen Anteilnahme und Identifikation unterschieden werden. Identifikation führt zur Übernahme eines Gefühles, zu Mitleiden und zum Verlust der eigenen Identität.

Wir anderen, nicht als krank diagnostizierten suchen vornehmlich und meist unbewusst in unseren Beziehungen nach Anteilnahme. Daran, sie nicht zu finden, scheitern die meisten Beziehungen. Wir suchen nach den Menschen, die unser Leben mit uns teilen mögen, die Anteil nehmen an unserer Freude und unserem Leid, an uns, so wie wir sind.
Ersatzweise setzen wir unsere Hoffnungen auf eine Ähnlichkeit in den Interessen, die im Allgemeinen im Alltagsleben nicht standhält. Wir sind geneigt, Interesse mit Anteilnahme zu verwechseln und laden andere zur Anteilnahme durch eine Veröffentlichung unseres Privatlebens ein.

Die Symptome einer fehlenden Anteilnahme zeigen sich an vielem in unserer Welt.
Sie zeigen sich im Anstieg von Depressionen und Suchterkrankungen, von Burnout und Medikamentenmissbrauch. Aber vor allem zeigen sie sich in unserem Umgang mit Gefühlen und unserer Einstellung gegenüber Gefühlen.
Das Maß der von uns erfahrenen Anteilnahme ist entscheidend dafür, wie wir im Leben stehen können, ist entscheidend dafür, ob und wie wir mit unserem Inneren zu kämpfen haben. Als Kind kann für uns schon eine Anteil nehmende Nachbarin zum inneren Rettungsanker werden oder die beste Freundin, der beste Freund.

Anteilnahme zu erfahren bedeutet, sich seelisch sichtbar zu fühlen.

Fehlende Erfahrungen der Anteilnahme an unserem Kummer oder unserer Freude führen dazu, dass wir uns selbst zurücknehmen, uns selbst in den Hintergrund rücken. Wir können uns selbst dann nicht als wichtig erkennen.
Oft sind diese Menschen auch darum bemüht, anderen eine Freude zu machen, um an dieser teilzuhaben. Sie wissen was sich andere Menschen wünschen. Die ihnen fehlenden Erfahrungen der Anteilnahme kompensieren sie durch eine starke Anteilnahme an anderen und hoffen, dadurch sichtbar zu werden. Da es ihnen aber schwer fällt, sich selbst eine Bedürftigkeit zu erlauben, können sie sich dadurch gänzlich auslaugen und ziehen sich mehr und mehr zurück.

Lösungsansätze bieten sich zum Beispiel in der Arbeit mit dem inneren Kind. Sie bieten sich aber auch schon in der reinen Erkenntnis und Anerkennung dessen, dass wir der Anteilnahme bedürfen und was Anteilnahme eigentlich bedeutet. Dafür hoffe ich mit diesem Text einen Beitrag geleistet zu haben.
In der Arbeit an sich selbst geht es immer darum, an sich selbst Anteil nehmen zu lernen. Das erst macht sie wirksam. Ein wahrhaft Anteil nehmender Freund, Berater oder Therapeut ist die beste Hilfe auf dem Weg.

Sita Hahn

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