Die Falle der Imagination
An vielen Stellen wird die Imagination von etwas Erwünschtem als ein Weg beschrieben, um das Gewünschte ins eigene Leben zu ziehen.
Oft wird dabei jedoch gänzlich übersehen, dass unsere „Wünsche“, Hoffnungen und Sehnsüchte sich überwiegend aus dem Erleben einer Mangelsituation heraus entwickeln und deshalb eben dieser Mangel die Antriebskraft liefert.
Wir wünschen uns das, was uns fehlt. Auf dieser Basis entwickeln wir Vorstellungen davon, wie es wäre, wenn uns dies nicht mehr fehlen würde und sogar davon, wie wir selbst wären und sein könnten, wenn uns dies nicht mehr fehlen würde.
Wir bemühen uns darum, uns so zu fühlen, als ob das Fehlende nicht fehlen würde, um das Fehlende in unser Leben zu ziehen?
Manchen scheint die Lösung darin zu liegen, dass sie versuchen, sich als die Person darzustellen, die sie wären oder glauben sein zu können, wenn es nicht zu einer Mangelerfahrung gekommen wäre, denn dann hätten sie ja auch einen berechtigten Anspruch darauf, dass sich die Umstände so entwickeln, dass ihre Wünsche Erfüllung finden.
So wird unter anderem der sogenannte „Gutmensch“ erschaffen, der ganz genau weiß, was alles schlecht oder falsch ist, was alles nicht seiner Imagination dessen, wie die Welt und das Leben sein sollte (aber eben nicht ist), entspricht.
Er erwartet dann eine kosmische und einen Mangel auflösende Antwort auf das eigene (scheinbar selbstlose) Wirken und hält meist unbewusst Ausschau nach den ihn bestätigende Anzeichen dafür.
Nicht selten wird diese Imagination auch anderen als heilsbringend dargestellt und deren Zuspruch wird als die gesuchte kosmische Antwort interpretiert. Die tiefere Botschaft an andere kann dann durchaus lauten: „Ihr könnt durch mich genauso erfolgreich werden, wie ich (durch euch) geworden bin.“
Eine sich selbst erfüllende Imagination sozusagen und das ganz ohne, dass der der Imagination zu Grunde liegende Mangel aufgelöst worden wäre. Aber durch den Zuspruch anderer, die durch eine ähnliche Mangelerfahrung geprägt wurden und deshalb von gerade dieser Imagination angezogen werden, besteht die Möglichkeit, zur Kompensation des selbst erfahrenen Mangels (nicht dessen Auflösung).
Ein verflixter Kreislauf, der im Kreise der spirituell Interessierten nicht selten zu beobachten ist und mit Sicherheit für einen nicht geringen finanziellen Umsatz sorgt. Wir wünschen uns doch fast alle eine bessere Welt, oder?
Aber aus eine Mangelsituation heraus lässt sich niemals ein mangelfreier Zustand imaginieren.
Anstatt dessen wird in diesen Fällen ein imaginäres Selbst erschaffen, ein Selbst, das so ist, dass ihm die Erfüllung seiner Sehnsüchte und Wünsche zusteht. Es wird ein „erfolgreiches“ Selbst erschaffen, welches aber zugleich nicht mehr im Kontakt mit den realen Antworten der Welt auf es steht und somit nicht mehr lernfähig ist.
Die Welt wird auf eine Deckungsgleichheit mit den in der Imagination enthaltenen Umständen hin abgescannt und es besteht die Überzeugung, wenn nur endlich die passenden Umstände, die passenden Mitwirkenden gefunden werden können, dann werden alle Wünsche in Erfüllung gehen. Was sich als nicht zur Imagination passend erweist, wird abgelehnt und quasi aussortiert. Bei Partnern manchmal erst nach langandauernden Versuchen, diesen zu Änderungen zu bewegen, die ihn passender machen würden.
Die für den Menschen wirksamen Lebensumstände werden nicht als Spiegelungen des eigenen Zustandes gesehen, sondern als Ungemach oder auch Ungerechtigkeit. Der tatsächliche eigene Zustand kann vom imaginären Selbst gar nicht erst erkannt werden und deshalb werden auch keine Möglichkeiten gesehen, selbst auf den eigenen Zustand einzuwirken und darüber das Erleben der Welt zu ändern. Mit der einen Ausnahme, dass sie gerade in die Imagination des Selbst passen. Es können also im extremen Fall auch durchaus beispielsweise angelesene Übungen weitergegeben werden, die anderen dabei helfen, Einfluss auf ihren Zustand zu nehmen, ohne dass selbst tatsächlich solche Änderungen erfahren wurden. Es muss eben nur in das Bild des imaginären Selbst beispielsweise eines Kursleiters passen.
Ich nenne diesen Ablauf, den vorweg genommenen Erfolg.
Er hindert die Betroffenen daran, eine Arbeit an sich selbst zu leisten, die notwendig wäre, um das Angestrebte, das „Erwünschte“ zu erreichen und die notwendig wäre, um die ursprüngliche Mangelerfahrung zu erlösen.
Nach meiner Erfahrung haben diese Menschen in ihrer Kindheit vor allem dann Aufmerksamkeit und Zuwendung erfahren, wenn sie einem vorgegebenen Bilde entsprachen. Oft stehen dahinter Eltern, welchen ihre eigene berufliche oder auch familiäre Stellung sehr wichtig war/ist und die ihr Kind unbewusst eher als eine Erweiterung ihrer selbst wahrnehmen.
Aber jenseits dessen und der extremen Fälle ist es gewisslich für uns alle angebracht, unser Leben auf mögliche Imaginationsfallen hin zu untersuchen, auf Imaginationen, die auf Defiziten beruhen.
Wenn wir durstig sind und imaginieren, ein Glas kühles Wasser zu trinken, ist es doch zumindest sehr unwahrscheinlich, dass wir dadurch weniger durstig werden. Es ist sicher klüger, sich auf den Weg zum Wasser zu machen.
Mit den allerbesten Wünschen für euer Leben
von Herzen Sita
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Danke 🙂
Von Herzen gern!
liebe sita,
laut lachend erkenne ich mich immer wieder und mache den nächsten schritt zu mir und meiner realen welt,
danke danke danke
liebe grüße aus dem schon kühlen waldviertel
mathilde
Ich bin so dankbar für diesen Text!!! Schon lange hab ich bei diesen „Übungen“ ein unstimmiges Gefühl..JETZT durch deine Erklärung weiss ich warum…..Vielen vielen Dank!!
Von Herzen gern!
Liebe Sita, ich habe diesen Text mehrfach gelesen, was darauf hindeutet, dass ich damit sehr in Resonanz bin. Mein Verstand beginnt gerade diese Worte zu verstehen. Ganz Verinnerlichen, dazu brauche ich noch (das war die Botschaft meines Herzens) …
In der gesamten Ausführung fehlt mir die Hoffnung. Dieser Aspekt, finde ich, gehört zur Balance dieser Ausführung/Thematik unbedingt dazu. Versteckt habe die Hoffnung ganz am Ende Deiner Ausführungen im letzten Satz „Es ist sicher klüger, sich auf den Weg zum Wasser zu machen.“ gefunden. Herzliche Grüße Frank
Lieber Frank, ich kann sehr gut verstehen, dass Dir darin die Hoffnung fehlt. Glaubst Du denn, dass Du in der Falle der Imagination steckst? Dann wärest Du ein aussergewöhnlicher Mensch, denn es ist recht selten, dass sich jemand in dieser Falle erkennt, die im Grunde auch tatsächlich oft das Ergebnis einer sehr frühen Hoffnungslosigkeit ist, welche jedoch nicht gefühlt werden darf. Die Imagination ist dann so etwas wie eine Flucht nach vorne.
„Sich auf den Weg zum Wasser zu machen.“ verlangt ganz einfach mehr und mehr das was ist als Spiegel des eigenen Zustandes anzunehmen. Daraus können sich alle notwendigen Handlungsimpulse ergeben. Aber es ist halt nicht gerade leicht die Überzeugung von der eigenen „Richtigkeit“ aufzugeben.
Alles Liebe
Sita
Wieso ist es aussergewöhnlich,sich in dieser Fälle zu erkennen?mich sprach dieser Text sehr an und ich glaube mich in dieser Fälle zu fühlen.zu wenig Selbstbewusstsein?zu wenig Wissen /Erkenntniss von den wirklichen eigenen Wünschen?ich frage mich oft,was will ich/wünsche ich mir wirklich..wer bin ich wirklich und wo will ich hin?
Liebe Sandra, wahrscheinlich bringt Dich die Frage „Wer bin ich?“ am ehesten aus der Falle heraus. Es ist hilfreich, wenn Du zu der inneren Verlorenheit Kontakt bekommst und diese als Antrieb für Deine Suche nutzen kannst. Wenn Du magst, kann ich Dich darin auch unterstützen. Sich in dieser Falle zu erkennen ist aussergewöhnlich, weil sich nicht sehr viele Menschen dem damit verbundenen inneren Schmerz zu stellen wagen. Es erscheint um so vieles einfacher, sich mit einer imaginären erfolgreichen Version seiner selbst zu identifizieren. Erfolgreich zu sein, bedeutet in diesen Fällen meist auch überleben zu können, wobei die Definitionen von erfolgreich sehr unterschiedlich sein können. In jedem Fall werden die von den Eltern als positiv erachteten Eigenschaften forciert.
Alles Liebe
Sita
Ein wunderbarer Text ,,, liebe Sita …
Ich erkenne mich gut darin … Ich danke von Herzen für diese kostbaren Zeilen ……
Mit lieben Grüßen ,,, Jutta
Es freut mich, wenn es Dir hilft!
Alles Liebe
Sita
liebe sita
ja, in diese fallen bin ich oft gegangen, und es gelingt mir mithilfe deiner texte immer mehr, sie zu erkennen, zu mir zu kommen und aus mir heraus zu entscheiden, dass ich meine leben jetzt gestalte aus meiner eigenen quelle und fülle
danke für deine worte
Liebe Sita,
ich habe schon lange gesehen, dass Fülle nicht aus einem Mangelbewusstsein „gezaubert“ werden kann. Danke für deinen schönen Artikel.
Ich habe bis ich zu dieser Erkenntnis gekommen bin, oft gedacht, wenn dies und jenes wäre, dann würde ich. Irgendwann habe ich aber auch gemerkt, dass ich eigentlich nur weg von möchte und mir gar nicht so richtig klar ist, wohin ich eigentlich möchte. Das „hinzu“ fühlte sich nicht erfüllend und auch nicht zu mir gehörend an.
Ich bin jetzt in einer Situation, die sich unangenehm anfühlt. Ich möchte immer irgendetwas machen, mein Ego strebt in irgendeiner Form nach „etwas tun zu müssen“, ich weiß aber nicht was. Es fühlt sich alles durcheinander an oder es ordnet sich gerade alles neu. Diese Situation anzunehmen ist gerade mein Weg.
Schon lange suche ich nach mir selbst, ich habe vieles aufgelöst und bin unheimlich stolz darauf. Aber noch immer ist das wozu ich geboren wurde nicht „aufgetaucht“. Ich bewundere die vielen Frauen die ihren Weg gefunden haben, ich bin noch am heilen und am gefunden werden.
Hab einen schönen Sonntag.
Claudia
Liebe Claudia, ich freu mich mit Dir über Dich!
Wir können gerne gemeinsam schauen, wo Dein Ziel liegt.
Alles Liebe
Sita
Liebe Sita,
es ist schön, die eigene Wahrheit von jemand anderem geschrieben, zu lesen. Auch wenn ich noch nicht so lange mit dabei bin, so hat mich doch jedes mal das Trugbild des imaginären Selbst den Kopf schütteln lassen, weil ich es für mich nicht als stimmig empfunden habe. Ich ertappe mich selbst auch oft genug dabei aus dem Mangel heraus zu „bestellen“. Trotz großer, allgemeiner Zufriedenheit, ist das noch eine Baustelle, an der ich auch noch viel zu arbeiten habe.
Vielleicht kannst Du ja anstatt dessen Geschenke annehmen.
Liebe Sita,
seit über einem Jahr beschäftige ich mich mit Imaginationen. Habe ein teures Visionsboard gestaltet. Meditiere ab und zu, wenn es mir nicht gut geht.
Heute, noch vor deinem Text hier, hab ich in einer Situation erkannt, dass ich noch immer so bin wie vor einem Jahr…
Es ist wahrlich noch immer das Thema meiner Kindheit… ich will scheinbar mehr und von außen bekomme ich Grenzen. Grenzen der Misskommunikation. Autorität, die meine harte Schale wiederspiegeln…
noch immer habe ich nicht die Leichtigkeit, in der Situation nicht zu polarisieren… zu stark erinnerte mich die Situation an meine Ex-Abteilungsleiterin, die sehr dominant war. Ich aber offensichtlich auch und noch immer bin.