Ist unsere Sehnsucht nach Vertrauen und unsere Sehnsucht nach Geborgenheit vielleicht ein und das Selbe?

Wie oft hörten wir schon den im Brustton der Überzeugung gesprochenen Satz: „Vertraust Du mir denn nicht?“
Und fühlten wir uns nicht, seltsamerweise, im gleichen Augenblick oft schuldig und schutzlos?
Haben wir dem Anderen unser Vertrauen entzogen oder hatten wir es ihm nie gewährt?
Hat er das Recht unser Vertrauen zu erwarten und haben wir ihm somit etwas vorenthalten, das ihm zusteht?

Sich gegenseitig zu vertrauen erscheint uns als eine ideale Basis und Grundvoraussetzung für jede Form des Miteinanders und der Interaktion.
Wer uns aber vertraut, für den glauben wir schnell auch Verantwortung übernehmen, ihn tragen zu müssen.

Werden wir seinem Vertrauen damit gerecht?

Unser Alltag wird zumeist von der Furcht, betrogen, missachtet oder verletzt zu werden, von Misstrauen bestimmt.
Wir sind überzeugt uns schützen zu müssen. Wir entwickeln diffizile Abwehrstrategien, tragen imaginäre Panzer und Stacheln.
Das kostet uns immense Kräfte, während wir uns weiter nach Vertrauen sehnen. Aber so gepanzert und aufgerüstet traut uns eigentlich auch keiner. Oder?

Was ist Vertrauen oder gar Urvertrauen eigentlich?

Was fühlen wir, wenn wir vertrauen?
Die Antwort kommt spontan: ich fühle mich sicher, gehalten und warm, geborgen?
Mein Herz öffnet sich. Meine Kraft ist bei mir, ich bin mutiger als zuvor und schaue nach vorn. Ein wunderbarer Zustand.

Aber ist dieser Zustand nun eine Folge des Vertrauens?

Oder ist er die Konsequenz einer kurzfristigen Unwirksamkeit des sonst gegenwärtigen und Kräfte zehrenden Misstrauens?
Bedeutet, was wir mit dem Wort „Vertrauen“ benennen möglicherweise einfach die Abwesenheit von Misstrauen?
Sind wir mit unserer Suche und unserem Sehnen nach Vertrauen vielleicht auf der völlig falschen Fährte und streben nach etwas rein Fiktivem?

Ist Misstrauen etwas natürliches, ist es angeboren oder wird es erworben?

Misstrauen scheint aus der Befürchtung zu erwachsen, dass andere eine uns nach unserer Meinung eigene Schwäche, zu ihrem Vorteil ausnutzen.
Es bringt also unseren Zweifel zum Ausdruck, dass es uns gelingt, eine unserer Schwächen zu verbergen.
Dann wäre Misstrauen zugleich ein Eingeständnis von Schwäche und deren negativer Bewertung und zusätzlich auch einer von uns angenommenen Unfähigkeit, die Schwachstelle selbst stärken zu können.
Die Kraft, die gerade dafür gebraucht würde, wird von unserem Misstrauen verzehrt. Ist Misstrauen etwa ein Garant dafür, dass die Schwäche uns erhalten bleibt?

Diesem Gedanken folgend, bedeutet einem Mitmenschen zu vertrauen, davon zu Recht oder Unrecht überzeugt zu sein, dass dieser unsere Schwachstelle nicht berühren wird.
Unsere Sehnsucht nach Vertrauen wiederum wurzelt in der Hoffnung, dass ein Anderer sich unserer Schwachstelle annehmen wird, weil wir selbst die dazu notwendige Kraft im Misstrauen verbrauchen.
Dieser Mensch müsste uns also als entschieden stärker erscheinen als wir selbst (oder als zu schwach, um uns zu schaden). Dann würden wir uns wohlfühlen.
Unser Misstrauen gegenüber dem Rest der Welt würden wir natürlich trotzdem behalten, immer bemüht unsere Schwäche zu leugnen und damit abhängig von dem Stärkeren oder Schwächeren an unserer Seite werdend.

Wie sollen wir so jemals wieder lernen uns selbst zu trauen und wie soll uns ein anderer wahrhaft trauen können, wenn wir uns auf uns selbst nicht voll und ganz verlassen können?

Vertrauen und sich trauen ist etwas sehr verschiedenes.

Wir trauen uns in dem Maß wie wir uns unserer Kräfte gewiss sind.
Sich zu trauen bedeutet, den Mut zu haben, sich den eigenen Grenzen zu nähern, bedeutet das Risiko einzugehen, sich selbst und den eigenen Schwächen zu begegnen, bedeutet, bereit zu sein, sich selbst um die eigenen Schwächen zu kümmern.
Wer sich trauen kann, erfährt sich in seiner Kraft und lernt seine Kräfte so anzuordnen, dass seine scheinbare Schwäche damit aufgehoben werden kann und zur Stärke erwächst.
Wer sich traut, muss sich nicht fürchten, denn er weiß, dass er mit allem, was auf ihn zukommt umgehen kann, auf diese oder jene Weise. Er kapituliert nicht vor sich selbst. Er ist sich seiner selbst sicher, sein Herz ist offen, er fühlt sich warm und mutig. Er traut sich.

Sorge dafür, dass Du Dir trauen kannst.
Verrate Dich nie selbst.
Belüge Dich nicht.

Trau Dich, sei mutig, einen Schritt um den anderen, bis Du wieder ganz bei Dir angekommen bist.
Höre auf dem Vertrauen hinterher zu laufen, das Dich nie dort hin bringen wird, wo Du in Wahrheit ankommen willst, in Deiner eigenen absoluten Lebendigkeit.
Trau Dich!

Sita Hahn

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